Einstellung
Als Unternehmer bist du immer der erste Verkäufer!
Ein Gastbeitrag von Martin Limbeck
Für die Umsätze ist allein der Vertrieb zuständig und als Geschäftsführer hast du bestenfalls noch repräsentative Funktionen? In manchen Unternehmen läuft es tatsächlich so ab. Für mich wäre das nichts, denn mein Herz schlägt für den Vertrieb und die Weiterentwicklung meiner Companys. Was für mich einen echten Vorbildunternehmer ausmacht und warum das Thema Vertrieb auch Chefsache ist, beleuchte ich in diesem Artikel.
Zeit zum Verkaufen ist immer und überall
Im Januar war ich zum Neujahrsempfang der Familienunternehmer in Essen eingeladen. Als Redner war Dr. Reinhard Zinkann angekündigt, geschäftsführender Gesellschafter der Miele-Gruppe. Auf seinen Auftritt war ich im Vorfeld bereits gespannt, weil ich über ihn schon viel Gutes gehört hatte. Und er hat auf ganzer Linie überzeugt. Grund dafür war jedoch nicht nur seine eloquente Rhetorik. Mich hat vor allem seine Reaktion auf eine Frage aus dem Publikum begeistert. Wie gesagt, alles Familienunternehmer dort im Saal. Da würdest du erwarten, dass einer danach fragt, wie Miele durch die Corona-Krise gekommen ist. Wie sie mit dem Thema Homeoffice umgegangen sind. Welche Herausforderungen sie aktuell haben aufgrund der Inflation, ob der Verkauf von weißer Ware jetzt schleppender läuft oder sonst was. Diese Fragen kamen auch alle.
Doch ein Mann, selbst Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, stand auf und sagte: »Herr Dr. Zinkann, meine Frau hat gesagt, dass ich heute nicht nach Hause kommen darf, ohne Sie gefragt zu haben, welches Modell die beste Miele-Spülmaschine ist. Wir haben uns in der Pandemie verkauft und sind absolut nicht zufrieden.« Und was tut Dr. Zinkann? Ich habe erwartet, dass er sich vielleicht die Visitenkarte geben lässt und die dann an die Vertriebsabteilung weitergibt. Oder ihm vielleicht die E-Mail-Adresse von einem Sales-Mitarbeiter nennt, an den er sich wenden soll. Weit gefehlt. Er lächelt, holt einen Stift aus der Tasche seines Sakkos und sagte: »Ich kann Ihnen auch direkt eine verkaufen!« Mega!
Nachdem die Fragerunde vorbei war, geht er zu dem Mann an den Tisch, notiert sich alle Daten und verspricht, sich direkt am Montag persönlich darum zu kümmern. Das hat mich ehrlich begeistert. Denn so sieht es für mich aus, wenn jemand Sales lebt und vorlebt.
Sales-DNA: Du musst verkaufen wollen!
Unternehmer vom Schlag eines Dr. Reinhard Zinkann findest du allerdings nicht so viele in Deutschland. Mein Eindruck ist, dass nicht wenige Entscheider eher in die Kategorie »Umsatzverhinderer« fallen. Ich berate mit meiner Company, der Limbeck Group, viele Mittelständler. Da ist alles dabei vom kleinen Unternehmen mit zehn Mitarbeitern bis zum Hidden Champion mit mehreren Niederlassungen in ganz Deutschland. Und was uns dabei immer wieder auffällt: Wenn Unternehmen in Schieflage geraten, mangelt es meist weder an neuen Ideen noch an Produkten, die nicht richtig zünden. Meistens ist die Ursache im Vertrieb zu finden. Und da muss ich nicht mal tief wühlen. Wenn es keine ausreichend gefüllten Sales-Pipelines gibt, konkrete Vorgaben zu Kontaktzahl, Nachfassen etc. – kein Wunder, dass es dann nicht läuft!
Es reicht nicht, immer nur von einem Tag zum nächsten zu schauen und sich über eine gute Marge zu freuen. Die bringt dir nämlich herzlich wenig, wenn du keine Neukunden mehr in Aussicht hast und du in einem Monat finanziell auf dem Trockenen sitzt. Wie heißt es so schön? »Der Fisch stinkt vom Kopf her.«. Das gilt auch hier: Wie willst du als Unternehmer deine Mannschaft motivieren, im Vertrieb mehr Gas zu geben, wenn du es selbst nicht tust? Ich weiß nicht, wie oft ich schon Gespräche geführt habe, in denen mir die Verantwortlichen dann mit Aussagen kamen wie: »Ich bin eher der Techniker, der Denker… Verkaufen liegt mir nicht so …« Ganz ehrlich? Das kann nichts werden.
Als Unternehmer musst du nicht der beste Verkäufer sein. Doch du musst verkaufen wollen. Und ein Auge auf das Thema haben und dich damit befassen. Denn wie soll dein Sales-Team einen guten Job machen, wenn du ihnen nicht die dafür benötigten Strukturen hinstellst? Und jetzt kommt mir bitte nicht mit Ausreden wie »keine Zeit«! Dr. Reinhard Zinkann sitzt im Aufsichtsrat verschiedener Verbände, bekleidet das ein oder andere Präsidentenamt, hat einen randvollen Terminkalender. Und lässt es sich trotzdem nicht nehmen, einen Abschluss zu machen, wenn er die Chance sieht. Weil er eine Sales-DNA hat, wie ich es gerne nenne. Die gute Nachricht: So was lässt sich bis zu einem gewissen Grad nachrüsten.
In meiner Mastermind-Gruppe Gipfelstürmer habe ich auch Unternehmer, die sich früher nicht getraut haben, das Thema Vertrieb in Angriff zu nehmen. Weil sie gedacht haben, dafür kein Händchen zu haben oder sich einfach nicht getraut haben. Und jetzt haben sie verstanden, wie wichtig das Thema ist und dass sie als Unternehmer als Leitbild für ihre Mitarbeiter gefragt sind.
Nah am Kunden und an den Mitarbeitern
Wer von euch kennt Hans Thomann? Er hat 1990 das gleichnamige Musikgeschäft von seinem Vater übernommen und es bis heute zum größten Musikalienhändler der Welt ausgebaut. Thomann mit 1,25 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2021, hat rund 1.500 Mitarbeiter und etwa 15 Millionen Kunden auf der ganzen Welt. Die meisten Käufe werden online oder übers Telefon getätigt, du kannst jedoch auch dort vor Ort einkaufen und beispielsweise erst mal testen, welche Gitarre die richtige für dich ist. Ein guter Freund, der auch sehr musikbegeistert ist, wohnt ganz in der Nähe in Bamberg und konnte ein Treffen mit Hans Thomann einstielen. Ich spiele zwar kein Instrument und interessiere mich auch nicht so brennend für Musik – doch aus unternehmerischer Sicht fand ich das natürlich spannend.
Was mir direkt auffiel: Thomann ist ein Chef zum Anfassen. Keiner von diesen Entscheidern, die sich in ihrem Büro verschanzen und vielleicht einmal im Jahr in der Produktion vorbeischauen. Er blieb immer wieder stehen, um Mitarbeiter zu begrüßen und ein paar Worte zu wechseln; wusste genau, wer gerade Vater geworden oder wessen Hund krank war. Und er ging nicht nur auf seine Mitarbeiter so offen zu, sondern auch auf Kunden. In der E-Gitarren-Abteilung saß ein Typ mit Mütze und spielte Gitarre. Er war Bluesmusiker, mit seiner Frau da, um sich eine neue Gitarre zu kaufen. Thomann hätte freundlich grüßen und weitergehen können. Doch stattdessen hat er ihn direkt angesprochen: »Guten Tag, werden Sie denn schon bedient? Ist denn der Richard gerade nicht da? Kann ich Ihnen weiterhelfen? Ich bin Hans Thomann.« Und dem Bluesmusiker sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als er verstanden hat, wer mit ihm da ins Verkaufsgespräch gegangen ist.
Unter dem Radar
Solche Leute wie Dr. Reinhard Zinkann und Hans Thomann sind für mich echte Vorbildunternehmer. Leider stelle ich immer wieder fest, dass gerade solche Typen, die richtig Ahnung von Wirtschaft und Unternehmertum haben, kaum einer kennt. Dabei brauchen wir genau solche Leute jetzt, um Deutschland wirtschaftlich wieder auf Vordermann zu bringen. Nicht nur die immer gleichen Parteigranden und Wohnzimmerphilosophen, die nur viel reden und nichts bewegen. Wir brauchen Menschen mit Unternehmer-Gen und Vertriebs-DNA, die für den Mittelstand die Fahne hochhalten. Zitat: »Unternehmer vom Schlag eines Dr. Reinhard Zinkann findest du allerdings nicht so viele in Deutschland.«
Der Autor: Martin Limbeck ist unter anderem Inhaber der Limbeck® Group, Wirtschaftssenator (EWS) und einer der führenden Experten für Sales und Sales Leadership in Europa
Aus: founders Magazin Ausgabe 45
Bild: IMAGO / IPON