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Leadership ist mehr als Kicker und Bier
Wer ein guter Leader sein möchte, muss verstehen, dass Mitarbeiter Menschen sind. Denn die Prozesse, die in einem sozialen Gefüge wie in einem Unternehmen ablaufen, sind stärker als mögliche Anweisungen des Chefs. Wird dieses Gefüge ignoriert, wird das Team unproduktiv. Wer es versteht, Menschen stattdessen zu überzeugen und sie zu respektieren, kommt mit seinem Team auch ans Ziel. Das meint Dr. Frederik Hümmeke. Der Unternehmercoach und Experte für Leadership kennt die Prozesse, die an der Oberfläche nicht immer sichtbar sind und erklärt sie in unserem Interview.
Herr Dr. Hümmeke, top-down mit klaren Strukturen oder flache Hierarchien und After-Work-Bier – was macht heute gutes Leadership aus?
Was heute gutes Leadership ausmacht, ist gerade nicht die Diskussion über After-Work-Bier, ob die Hierarchie flach oder die Struktur top-down sein soll. Heute geht es in der guten Führung im Wesentlichen um andere Themen. Das eine ist die normative Ebene. Also die Frage, ob wir dem Menschen einen emotionalen Anknüpfpunkt anbieten, weil das, was wir machen, aus seiner Sicht sinnvoll ist, seinen Werten entspricht, ihn emotional begeistert. Bieten wir Menschen also auch auf der emotionalen Bedeutungsebene einen Grund an, warum sie bei uns arbeiten sollten? Versteht der Mitarbeiter, dass das, was wir als Unternehmen machen, für die Welt gut ist und er somit Teil eines wichtigen, relevanten großen Ganzen ist? Zu diesem Thema gehört auch, inwiefern wir eine Tätigkeit anbieten, die für den Mensch und sein persönliches Leben sinnvoll, relevant und gut ist und die dabei hilft, persönliche Visionen und Ziele zu erreichen.
»Je besser diese Kommunikation ist, desto höher ist die Wirksamkeit, umso höher ist die Lebenszufriedenheit, umso höher ist auch die Qualität der Kultur.«
Und das Zweite ist eine richtig gute handwerkliche Führung. Und diese gute handwerkliche Führung hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht geändert. Jeder Trend vernebelt den Blick immer wieder neu auf diesen Fakt. Zu viele Führungskräfte bauen Großraumbüros mit Kickertischen und Chill-out-Areas, wissen nicht, dass einiges davon sogar aktiv der Produktivität schadet, und vergessen als Bonus eine saubere, gute Delegation, die dem Mitarbeiter eine klare Verantwortung gibt. Haben wir saubere Meetingstrukturen, die Effizienz fördern? Also wirksame, schnelle, kurze Meetings, die die Sache auf den Punkt bringen? Oder haben wir irgendwelche Hexenjagden nach demjenigen der den Fehler gemacht hat, statt nach einer Lösung zu suchen? All das sind Themen der handwerklichen Führung.
Hier geht es um die Kommunikation der Führungskraft zum Mitarbeiter und wieder zurück. Je besser diese Kommunikation ist, desto höher ist die Wirksamkeit, umso höher ist die Lebenszufriedenheit, umso höher ist auch die Qualität der Kultur. Das sind die zwei Kernbereiche, auf die es zu achten gilt. Und wenn wir dann noch einen Kickertisch aufstellen oder irgendwas schönes Symbolisches machen – gerne. Aber die Grundlage in der Führung muss zuerst stimmen. Und das bekommen leider die wenigsten Leute hin.
Viele Führungskräfte agieren nach einem Lernschema, sie schauen sich oft veraltete Bilder ab, was nicht immer zielführend ist. Wie geht es besser?
In der Tat ist eines der großen Probleme, dass wir uns immer wieder bekannte Unternehmer und Führungskräfte anschauen und idealisieren. Wir versuchen dann die Verhaltensweisen, die für diese gut funktioniert haben, genau zu replizieren, ohne das gesamte System zu verstehen. Netflix zum Beispiel stellt jedem Mitarbeiter ein gewisses Budget, über das er verfügen kann. Und weil Netflix erfolgreich war, gibt man jetzt plötzlich auch allen seinen Mitarbeitern ein gewisses Budget – ohne, dass die Kultur entsprechend entwickelt ist. Das geht häufig schief. Solche Unternehmens- und Führungsikonen anzuschauen ist ein echtes Problem und wird auch in der Forschung als solches häufig diskutiert. Ausnahmemenschen haben typischerweise auch Ausnahmeführung. Ein Elon Musk oder ein Steve Jobs sind Ausnahmemenschen mit Verhaltensweisen, die für die allermeisten Führungskräfte überhaupt nicht funktionieren können.
Meine Empfehlung ist, immer auf echte Methodik zu setzen. Ob das die persönliche Produktivität ist, zum Beispiel beschreibe ich in meinem neuen Buch »Follow Your Flow«, wie wir zu einem persönlichen individuellen Wirksamkeitssystem rund um Produktivität kommen: Wie erreichen wir unsere Ziele besser? Und zwar für jeden Menschen individuell, weil der Weg zum Ziel von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Führung tickt aber anders! Mein Tipp für alle Führungskräfte: Lernt bitte die kommunikative Basis der Führung, die alle standardisiert wunderbar funktionieren: Wie überzeuge ich Mitarbeiter? Wie delegiere ich an Mitarbeiter? Wie gehe ich damit um, wenn Mitarbeiter ihre Arbeit nicht machen? Wie entwickle ich Mitarbeiter systematisch? Und wie handle ich Teams? Wie handle ich Meetings? Wie handle ich die Kommunikation in der Organisation? Wer das angeht, hat 80 bis 90 Prozent über einen Standardprozess namens ‚gute Führung‘ für sein Unternehmen gerockt und darf den Rest gerne individuell entwickeln. Und da darf man sich gerne auch mal Besonderheiten abschauen und sich sogar ein paar Verschrobenheiten leisten.
Ein Change-Prozess ist immer eine Herausforderung. Wie können Unternehmer ihre Mitarbeiter motivieren, diesen Prozess erfolgreich zu bewältigen und wie können sie sich selbst optimal vorbereiten?
Tatsächlich sind unsere biologischen Systeme und Gehirne in der Regel wenig begeistert von großen Veränderungen. Dies stellt eine Herausforderung dar, da wir dazu neigen, Veränderungen ungestüm anzugehen, einige Aktionen überstürzt umzusetzen, nur um dann festzustellen, dass es nicht funktioniert wie erwartet. Mit der Zeit erkennt die ganze Organisation, dass die angestrebten Veränderungen, die von der Geschäftsleitung immer wieder propagiert werden, scheinbar doch nicht realisierbar sind. Die Folge: Viele sehen keinen Anlass mehr, sich überhaupt auf den Veränderungsprozess einzulassen.
»Wenn nur ein Teammitglied sein Verhalten ändert und die anderen nicht, entstehen Inkonsistenzen und Stressoren.«
Kurz gesagt: Der Veränderungsprozess muss für jeden Mitarbeiter einen Nutzen bringen. Häufig beginnt es damit, dass die Führungsebene ein Veränderungsbedürfnis identifiziert. Anstatt direkt Maßnahmen zu ergreifen, ist es sinnvoll, zunächst die Organisation selbst zu befragen: Welche alltäglichen Probleme bestehen? Eine effektive Strategie ist die Zusammenführung der Probleme von Mitarbeitern und Führungskräften, aus denen sich dann das Veränderungsbedürfnis konkretisiert. Oftmals überschneiden sich die Probleme von Führungskräften und Mitarbeitern erstaunlich stark. Das bietet Potenzial für einen Veränderungsprozess, bei dem jeder den persönlichen Nutzen der Problembehebung sieht. Dies ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Veränderung. Es muss klar sein, dass organisationale Veränderung nie rein technisch betrachtet werden darf. Im Kern handelt es sich immer um die Veränderung einzelner Personen, die koordiniert werden müssen. Die Koordinierung der individuellen Veränderungen innerhalb eines Teams ist entscheidend, da sonst Schnittstellenprobleme auftreten können. Wenn nur ein Teammitglied sein Verhalten ändert und die anderen nicht, entstehen Inkonsistenzen und Stressoren. Daher liegt die Herausforderung bei effektiven Veränderungsprozessen darin, die Mitarbeiter zu einer Veränderung zu bewegen, weil sie erkennen, dass dies zu einer Reduktion ihrer Probleme führt.
Wie viel Vorbild muss man als Leader sein?
Zum einen ist es unglaublich wichtig, als Führungskraft die Werte der Organisation vorzuleben. Ich kann meinen Mitarbeitern nicht erklären, dass unsere Kernwerte Technologieorientierung und Fortschritt sind und gleichzeitig eine E-Mail ausdrucken, etwas handschriftlich darauf notieren und dann wegfaxen. Die Vorbildfunktion bezieht sich vor allen Dingen auf das Halten der Kultur. Führungskräfte haben die Kernaufgabe, die Bewacher und die Beschützer der Unternehmenskultur zu sein.
Gleichzeitig muss aber auch klar sein, dass man als Chef andere Regeln hat. Natürlich darf sich ein Geschäftsführer mehr herausnehmen als ein Mitarbeiter. Ein Chef kann als einziger im Unternehmen einen First-Class-Flug buchen, damit er ausgeruht seinen millionenschweren Verhandlungstermin wahrnehmen kann. In dem Moment, wo Mitarbeiter das verstehen, ist es für sie überhaupt gar kein Problem. Das heißt aber auch: der Kommunikationsraum ist an dieser Stelle unglaublich wichtig. Die Unterschiede müssen verstehbar werden. In diesem Sinne muss man also nicht überall Vorbild sein. Und wenn Vorbild, dann bitte für kluges Entscheiden und situative Kompetenz.
Können Sie uns ein Beispiel für einen CEO geben, der eine Vorbildfunktion hat und dies begründen?
Grundsätzlich würde ich das lieber nicht tun, vor allem wegen der Tendenz zu Idealisierung oder zum Personenkult. Tatsächlich gibt es niemanden, der fehlerfrei führt oder ein makelloses Vorbild darstellt. Führungskompetenz ist von hoher Komplexität geprägt, situationsabhängig und erweist sich erst dann als erfolgreich, wenn es gelingt, die meisten Fehler zu vermeiden – trotzdem werden Fehler unvermeidlich sein. Man kann Perfektion anstreben, sollte sich aber bewusst sein, sie nie vollständig erreichen zu können. So kann man dann für verschiedene Themen verschiedene Menschen als Vorbilder nehmen. Ein CEO mit einem sehr markenwirksamen und vorbildhaften Außenauftritt ist beispielsweise Constantin Buschmann von Brabus. Eine Unternehmerfamilie, die exzellent mit viel Haltung ihr Team führt und Mitarbeiter langfristig entwickelt, ist Familie Hanebutt mit ihrem gleichnamigen großen Dachdeckerbetrieb. Die können jeden inspirieren. Der Anspruch sollte dann darin liegen, sich nach der Inspiration stetig zu verbessern und der Perfektion so nah wie möglich zu kommen.
MK
Unser Gesprächspartner: Dr. Frederik Hümmeke studierte Wirtschaftswissenschaften, Angewandte Neurowissenschaften und Verhaltens- und Kulturphilosophie. Er ist Unternehmer, Coach und Autor. Er gilt als einer der gefragtesten Business-Coaches Europas.
Bild: Holzknecht Wien