Europäische Chemie-Start-ups und Mittelständler wollen ihre Lobbyarbeit in Brüssel und Berlin verstärken und gründen deshalb einen neuen Verband. Die Association of Industrial Green Chemistry (IGC) soll vor allem die Interessen von innovationsgetriebenen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) vertreten – eine Gruppe, die aus Sicht der Gründer bislang weitgehend vom traditionellen industriellen Dialog ausgeschlossen ist, wie es in dem Gründungsschreiben heißt, das der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.
Jüngstes Beispiel für den Ausschluss sei der Strategiedialog der EU-Kommission Mitte Mai. Dazu seien große Konzerne eingeladen gewesen, Start-ups aber angeblich nicht, heißt es. »Das war überraschend«, wird Aliz Kiss, Chefin des neuen Verbands, zitiert. Start-ups seien doch besonders erfolgreich darin, Innovationen auf den Markt zu bringen – und schon heute prägten sie den Pharma-, Medtech- und Cleantech-Sektor maßgeblich mit.
Kiss, promoviert in analytischer Chemie, gründete mit Kemialytics ein eigenes Start-up für grüne Chemie. Das Unternehmen hatte sich den Zugang zu den Daten aller großen wissenschaftlichen Verlage gesichert – mit dem Ziel, eine europäische Tech-Plattform für Chemiedaten aufzubauen. Doch wegen fehlender Finanzierung musste Kiss aufgeben. »Ich habe mein Unternehmen verloren – nicht, weil die Wissenschaft gescheitert ist, sondern weil es in Europa kein risikobereites Kapital für neuartige chemische Lösungen gibt«, erklärt sie.
Das zeigten auch die Zahlen des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Obwohl die Chemieindustrie drei- bis viermal größer sei als die gesamte Pharmaindustrie, erhalte sie deutlich weniger Risikokapital: Zwischen 2019 und 2021 flossen nur rund 0,2 Prozent des europäischen Wagniskapitals in Chemie-Start-ups, kritisiert der IGC. Der neue Verband will sich deshalb vor allem um die Interessen junger Innovatoren in der chemischen und pharmazeutischen Produktionsbranche kümmern.
MK
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