Wissen
Angst vor der Gen Z? Dann freut euch auf die Gen Alpha!
Ein Gastbeitrag von Andreas Wollermann
Vom Kind zum Konsumenten, wie Social Media und digitale Früherziehung unsere Gesellschaft neu verdrahten
Stellt euch vor, ein Zweijähriger wischt mit dem Finger über den Fernseher und wundert sich, warum das Bild nicht reagiert. Willkommen in der Realität der Generation Alpha – geboren ab 2010, aufgewachsen mit YouTube, TikTok, Sprachassistenten und Tablets als Ersatz für Langeweile, Trost oder Nähe.
Viele Unternehmen haben Angst vor der Gen Z. Sie verstehen ihre Loyalität nicht. Ihre Art zu kommunizieren. Ihre Widersprüchlichkeit, ihre Schnelligkeit, ihre Ironie. Doch das, was die Gen Z in Bewegung setzt, wird von der Gen Alpha überrollt. Was heute noch als »radikal digital« gilt, wird morgen der neue Standard sein, oder längst veraltet.
Von der Zuckerwatte zur Dauer-Dopamin-Dröhnung
Was haben TikTok, Reels und Shorts gemeinsam? Sie sind schon lange keine Plattformen mehr, sie sind Belohnungsmaschinen. Jede Wischbewegung ein Mini-Gewinn. Jedes Like ein kleiner Dopaminrausch. Und wir reden hier nicht von Erwachsenen, sondern von Kindern.
Bereits Grundschüler kennen Begriffe wie »Algorithmus«, »Follower« oder »Creator«. Viele von ihnen lernen nicht mehr durch Erfahrung, sondern durch visuelle Dauerbeschallung. Was das mit dem Gehirn macht? Es passt sich an. Reize, Reize, Reize. Wer einmal sechs Stunden TikTok konsumiert hat, hat Schwierigkeiten, ein ganzes Buch zu lesen oder einem Menschen zehn Minuten zuzuhören. Nicht, weil die Kinder dumm sind. Sondern weil das Belohnungssystem anders trainiert wurde.
Die WHO hat bereits 2019 vor der »digitalen Demenz« gewarnt. Doch statt zu reagieren, haben wir Tablets in Kitas eingeführt, digitale Hausaufgaben gefeiert und Eltern applaudiert, die stolz erzählen, dass ihr Dreijähriger selbstständig Videos auf YouTube startet. Früher hieß das: Mein Kind kann schon lesen. Heute: Mein Kind kann schon swipen und eigenständig Youtube bedienen.
Kommunikation neu verdrahtet und die Politik redet von Medienkompetenz
Wir reden in Talkshows über ChatGPT oder KI, in Klassenzimmern über Digitalpakt und in Familien über Bildschirmzeit, obwohl Eltern selbst teilweise stundenlang online gefangen sind. Kaum jemand spricht jedoch über den tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbau, der gerade passiert: Wir erziehen eine Generation, die durch Algorithmen sozialisiert wird! Nicht durch Eltern, Lehrer oder analoge Vorbilder wie wir früher.
Was früher ein Gespräch war, ist heute ein Snap oder Meme. Was früher ein Brief war, ist heute eine Sprachnachricht mit vierfachem Tempo. Kommunikation ist nicht mehr linear, sondern fragmentiert, visuell, ironisch – und oft leider auch radikal und extrem. Warum? Weil Extreme Inhalte und laute Botschaften nunmal Reichweite bringen. Und Reichweite und Follower sind die neue Währung.
Die Politik? Wirkt ratlos. Sie ruft nach »mehr Medienbildung«, »digitaler Resilienz« und »Cyberkompetenz«. Alles wichtig , aber alles zu spät, wenn die Erziehung der Kinder längst an YouTube oder TikTOk-Algorithmen ausgelagert wurde. Während Ministerien noch über Reformen diskutieren, entscheiden Influencer und Menschen die Inhalte teilen und viral gehen lassen, woran Kinder glauben.
Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Wir dürfen uns nicht länger etwas vormachen! Der soziale Kit, der Gesellschaften zusammenhält wie Empathie, Zuhören, Aushandeln, Widerspruch aushalten erodiert. Denn wer gewohnt ist, dass der Algorithmus nur noch Gleichgesinnte zeigt, empfindet Widerspruch als Angriff. Das hat Folgen! Für unsere Demokratie, die Zukunft der Politik, für unsere Streitkultur und für das Miteinander.
Die Gen Alpha ist nicht schuld daran, sie ist das Produkt einer Gesellschaft, die Bequemlichkeit mit Fortschritt verwechselt hat. Eltern, die Ruhe wollten. Schulen, die Ausstattung statt Haltung vermittelt haben. Politik, die digitale Geräte gefördert, aber keine digitale Ethik mitgeliefert hat.
Wenn wir also über die Zukunft sprechen, dann dürfen wir nicht nur darüber reden, wie viele Tablets in Klassenräumen stehen, sondern auch, wie viele echte Gespräche zu Hause stattfinden. Wie oft Kinder Stille erleben. Langeweile. Frustration. Denn genau das sind die Fähigkeiten, die in einer Welt voller Dopaminfallen zum Überleben nötig sind und werden.
Vom Kind zum Konsumenten!
Die große Frage ist: Wollen wir Kinder als Markt sehen oder als Menschen? Wollen wir sie zu reaktiven Klickmaschinen erziehen, oder zu reflektierten gestaltern unserer gesellschaftlichen Zukunft?
Unternehmen, die heute junge Zielgruppen erreichen wollen, müssen sich ehrlich fragen: Bieten wir Inhalte, die bilden oder nur solche, die binden? Politik, die heute Wahlen gewinnen will, muss sich fragen: Sprechen wir mit den Menschen oder senden wir nur Botschaften an Zielgruppen?
Die Zukunft unserer Kinder entscheidet sich nicht in Silicon Valley. Sie entscheidet sich in unseren Wohnzimmern, Klassenzimmern, Redaktionen und in den Köpfen derer, die heute Verantwortung tragen und als Influencer auf all diesen Tools Content erstellen.
Wir haben die Gen Z nicht verstanden und erziehen gerade die Gen Alpha in eine Welt, die noch extremer, noch lauter, noch schneller ist. Doch wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft auch in Zukunft funktioniert, müssen wir jetzt handeln! Mit digitaler Ethik statt Technikgläubigkeit. Mit echter Beziehung statt reiner Bespaßung. Und mit Vorbildern, die nicht auf Reichweite schielen, sondern Verantwortung zeigen.
Denn eines ist sicher: Die digitale Zukunft wird kommen. Die Frage ist nur, in welcher Welt wir sie empfangen.
Über den Autor: Andreas Wollermann ist Speaker und Coach. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Brücke zwischen den Generationen zu schlagen. Mit »GENfluenZer« beleuchtet er Unterschiede zu früheren Generationen.
Bilder: Andreas Wollermann, Depositphotos / DragonImages
