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Storytelling: Kunden lassen gern den Bauch entscheiden
Wenn ein hoher Marketing-Etat oder vermeintlich griffige Slogans verpuffen, ist guter Rat teuer. Unternehmensberater Alexander Christiani erklärt in unserem Interview mit Best Practice-Beispielen, wie man stattdessen Geschichten erzählen kann, die noch Jahrzehnte nachhallen können.
Herr Christiani, Storytelling im Business kann den Umsatz erhöhen. Warum braucht ein Unternehmer heutzutage Persönlichkeit, Charisma und eine Backstory?
Ich glaube, Unternehmer mit Persönlichkeit, Charisma und einer Backstory waren anderen Unternehmern gegenüber immer schon im Vorteil und sind es heute noch viel mehr, weil man mit Social Media und technischen Kommunikationsmöglichkeiten Geschichten ganz anders verbreiten kann, als vielleicht vor 40 oder 50 Jahren. Nehmen wir einfach drei Beispiele.
Wir schauen uns auf der einen Seite die Apple-Kommunikation mit Steve Jobs an und vergleichen das mit der Samsung-Marketingkommunikation unter Dr. Oh-Hyun Kwon, der über viele Jahre CEO war, als Steve Jobs noch bei Apple aktiv war. Die Tatsache, dass Steve Jobs die Marke Apple mit seiner Persönlichkeit und seinem Charisma aufgeladen hat, hat zu einer viel höheren Wertwahrnehmung zugunsten von Apple auch an der Börse geführt. Selbst wenn beide Budgets haben ohne Ende, gewinnt am Ende derjenige, dessen Persönlichkeit den Markt stärker auflädt.
Das ist nicht nur bei Apple und Samsung so, das ist bei British Airways, deren Vorstandvorsitzenden niemand kennt, genauso. Virgin hat sich mit Sir Richard Branson und einem Bruchteil des Marketingbudgets eine viel höhere Bekanntheit und ein viel höheres emotionales Wohlwollen erarbeitet.
Und ein weiteres, besonders gutes Beispiel ist: Den CEO von Nestlé kennt niemand, den CEO der kleinen deutschen Babynahrungsfirma Hipp kennt jeder. Claus Hipp ist seit 40 Jahren für Storytelling mit nur einem einzigen Satz bekannt: »Dafür stehe ich mit meinem Namen«.
Nicht jeder ist von Natur aus so charismatisch wie Steve Jobs es zum Beispiel gewesen ist. Was kann man selbst dafür tun, seine Geschichte authentisch zu erzählen?
Stimmt, nur wenige sind von Natur aus so charismatisch wie Steve Jobs, aber jeder, der seine Geschichte authentisch erzählt, wirkt charismatisch auf uns als Zuhörer. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben: Birgit Untermaier, die als Coach in Österreich seit vielen Jahren hervorragende Arbeit leistet, hat im Rahmen unseres Storycoachings den Entschluss gefasst, ihre persönliche, sehr bewegende Lebensgeschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen. Sie hat anlässlich einer Gedankentanken-Veranstaltung ein Video von 18 Minuten aufgenommen, das in eineinhalb Jahren mehr als 800.000 Aufrufe bekommen hat. Sie hat in der Zwischenzeit ihren Umsatz mehr als verfünffacht, bekommt heute immer noch mehrere Neukundenanfragen von Kundinnen, die sich genau auf dieses Video beziehen und sich durch das, was Birgit dort gesagt hat, unglaublich gut verstanden fühlen.
Das iPhone war bei seiner Einführung eine echte Innovation, da ist die Geschichte offensichtlich. Wie kann Storytelling aber beispielsweise für eine Steuerberatungsfirma aussehen?
Ich antworte dort gerne mit dem Beispiel meines Kollegen Alex Fischer. Alex ist selbst nicht Steuerberater, hat sich aber von exzellenten Steuerberatern beraten lassen und ein Steuercoaching-Konzept für Unternehmer entwickelt. Die Geschichte: Deutschland ist ein Niedrigsteuerland für alle Unternehmer, die Stiftung und Genossenschaften zu ihren Gunsten zu nutzen wissen. Er hat damit im ersten Jahr einen deutlichen achtstelligen Umsatz erreicht, und einen Gewinn, den auch gutverdienende Steuerberater in 40 Berufsjahren als Lebensarbeitseinkommen nicht erreichen. Und falls jetzt einer der Leser auf die Idee kommt zu sagen, damit sei die gute Idee in der Steuerberatungsbranche weg: Das stimmt überhaupt nicht. Es gibt so viel gute Stories wie es gute Nutzenaufhänger gibt. Ich habe beispielsweise einen anderen Steuerberater, der sich auf niedergelassene Ärzte fokussiert hat, und alle Datevbranchen-Vergleichszahlen kennt. Er kann ihnen innerhalb von zehn Minuten anhand ihrer BWA zeigen, wo sie überproportional hohe Kosten haben, und wie sie die in den nächsten 90 Tagen deutlich reduzieren können. Klar, dass sich dieser Steuerberater vor Fans unter niedergelassenen Ärzten nicht retten kann.
Wenn sich ein Unternehmer fürs Storytelling entscheidet, gibt er viel von sich preis. Wie groß ist die Gefahr für einen irreparablen Imageschaden, wenn es schiefgeht?
Anfangs haben wir alle das Gefühl, uns durch diese Strategie angreifbar und verletzlich zu machen. Und natürlich kann diese Offenheit auch in Einzelfällen – zum Beispiel von Wettbewerbern, die die Botschaft bewusst missverstehen und herumdrehen – ausgenutzt werden. Langfristig glaube ich, haben die meisten Menschen allerdings die Erfahrung gemacht: Je authentischer ich bin und je mehr ich von mir selbst einbringe, umso authentischer und herzlicher kommt es von anderen Menschen zurück und umso herzlicher sind auch die Beziehungen, die ich mit anderen Menschen aufbaue. Und das gilt für Privatbeziehungen genauso wie für Kundenbeziehungen.
Zwar ist Storytelling im Marketing keine Erfindung heutiger Zeit, aber wird es dennoch zum neuen Zeitgeist?
Das kann ich schwer beurteilen. Ich glaube allerdings eher nicht. Storytelling wird wie in anderen Lebensbereichen, wie Kommunikation, Literatur, Fernsehen und Kino, nach meiner Einschätzung zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Kommunikationsfundaments, mit dem im Business dann genauso gearbeitet wird, wie in allen anderen Lebensbereichen auch. Und es wird aus meiner Sicht in Kürze so selbstverständlich sein, dass niemand über diesen allgemeinen Standard einen Zeitgeist definieren wird.
MK
Bild: Nadia Christiani