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Fehlende IT-Fachkräfte: Unternehmer müssen umdenken

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Fehlende IT-Fachkräfte: Unternehmer müssen umdenken

Das Fehlen gut ausgebildeter IT-Fachkräfte kann vor allem KMU ernsthaft gefährden. Und je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto ernster wird das Problem. Schon jetzt fehlen laut des Digitalverbandes Bitkom 137.000 Fachkräfte, offene Stellen bleiben durchschnittlich sieben Monate lang unbesetzt. Vor diesem Hintergrund müssen Unternehmer ihr Recruiting anpassen, damit sie die Chance haben, eine qualifizierte Fachkraft für sich zu gewinnen. In unserem Interview erklärt Recruiting-Experte Christian Lepsien, welche veralteten Sichtweisen das Problem vergrößern und wie Unternehmer  ihre Strategien anpassen können.

Gibt es den oft geäußerten und beklagten IT-Fachkräftemangel nun wirklich oder ist das ein Mythos?

Nein, das ist kein Mythos. Den gibt es natürlich, und er wird weiter zunehmen, wir sind erst am Anfang der Entwicklung. Warum? Wir befinden uns in einem Digitalisierungsaufschwung, der stetig an Fahrt gewinnt. Jedes Geschäftsmodell, ganz gleich in welcher Branche, wird immer mehr getrieben und abhängig von IT. Die Nachfrage nach entsprechenden Fachkräften steigt, während die Zahl der IT-Fachkräfte jedoch keinesfalls in dem Maße steigt. Der Wettbewerb um diese Fachkräfte nimmt also zu. Zudem werden immer mehr Spezialisten und immer weniger Generalisten gesucht.

Wenn Unternehmen es nicht mehr verstehen, diese spezielle Zielgruppe zu erreichen, erfolgreich einzustellen und an sich zu binden, dann verlieren sie massiv an Wettbewerbsfähigkeit, egal in welcher Branche sie tätig sind. Es geht um die Zukunftsfähigkeit, ja, die Existenz eines Betriebes im Mittelstand. Deswegen liegt mir dieses Thema so am Herzen.

Sie meinen also, der Trend hin zur Digitalisierung wird weiter zunehmen?

Es geht gerade erst los. Es ist ein sich selbst verstärkender Prozess, der alles mit sich reißt, alles verändert und bestehende Strukturen hinterfragt. Zusätzlich kommt es mit der Zeit auch zu einem Generationenwechsel. Junge Menschen, die mit der Digitalisierung aufgewachsen sind, gehen völlig anders mit Themen um und beschleunigen sie. Sie haben ein ganz anderes Nutzerverhalten von Medien und digitalen Kanälen. Für sie ist es selbstverständlich, dass sich für sie relevante Themen dort abspielen. Sie bestehen auf digitale Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Interaktion. Sowohl was das Waren- oder Dienstleistungsangebot von Unternehmen betrifft, als auch ein mögliches Karriereangebot. Was auf den für sie relevanten digitalen Kanälen nicht sichtbar ist, existiert für sie auch nicht, so hart wie dies auch klingen mag. Die Informationsflut ist enorm, denn alle kämpfen um diese Zielgruppe und es wird von dieser sehr schnell und sehr hart gefiltert. Es geht um die erste Sekunde der Aufmerksamkeit.

Sie haben gesagt, Unternehmen müssten sich für Bewerber attraktiv präsentieren, was braucht es hierzu konkret?

Sich attraktiv präsentieren wird oft falsch verstanden und auf Webseiten, nette Werbetexte oder einen Social Media-Kanal reduziert, das ist viel zu kurz gedacht. Du kannst die schönste Webseite mit den tollsten Bildern haben, aber wer wird diese aus deiner Zielgruppe sehen? Du kannst dir viel Mühe geben, in Anzeigen viel versprechen und dann zerstört der erste persönliche Kontakt mit deinem Unternehmen diese Bild in Sekundenbruchteilen. Du kannst Top-Bewerber erfolgreich für dich interessieren und dann in deinem Interviewprozess an den Wettbewerb verlieren. Es muss ein Gesamtprozess entworfen werden, der schlussendlich in die Einstellung des Bewerbers mündet.

Häufig höre ich den Spruch »Lass HR mal machen«. Aus meiner Sicht ist das heutzutage ein sehr gefährliches Mindset. Denn der größte Schlüssel zum Erfolg bei der Fachkräftegewinnung ist, dass die Geschäftsführer selbst die zugrundeliegenden Erfolgsgeheimnisse vermittelt bekommen und Fachkräftegewinnung nicht weiter nur der HR-Abteilung überlassen. Denn nur dann haben sie ein ganzheitliches System, das funktioniert.

Wie wichtig ist das Mindset bei der Suche nach Mitarbeitern?

In der Regel können sich versierte Fachkräfte die Stelle aussuchen. Üblicherweise haben sie dermaßen viele Angebote, dass sie mehrgleisig bei der Jobsuche vorgehen können und dies auch tun. Das bedeutet, dass sich das Verhältnis zwischen Unternehmen und Mitarbeitern verändert hat. Der Markt ist für sie dabei transparent, sie kennen genau ihren Marktwert und wissen, was möglich ist. Unternehmen müssen sich klar darüber werden, wer sie sind, was sie auszeichnet und was sie anbieten können, um IT-Fachkräfte zu überzeugen. Dies funktioniert nicht allein über die Höhe des Gehalts. Die Fachkräfte, die die Unternehmen suchen, haben alle einen Top-Job und das entsprechende Gehalt. Den Ausschlag geben ganz andere Themen, die authentisch kommuniziert werden müssen. Die Vision des Unternehmens, wie man miteinander arbeitet, flexible Arbeitszeitmodelle, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Entwicklungsmöglichkeiten, die dort geboten werden, sind nur einige Beispiele. Unternehmen sollten sich nicht als Bittsteller sehen, aber eben auch die Fachkräfte nicht zu Bittstellern degradieren. Es muss ein Gespräch auf Augenhöhe sein, in dem gemeinsam nach einer win-win-Situationen gesucht wird. 

Was geschieht, wenn Unternehmen sich nicht auf dieses neue Mindset einlassen?

Die Kosten, um eine neue Stelle zu besetzen, sind für die meisten mittelständischen Betriebe sowieso schon massiv, man könnte schon sagen, exponentiell angestiegen. Hinzu kommen noch die Opportunitätskosten, Kosten, die durch lange unbesetzte Stellen und natürlich durch Fluktuation des Personals zustande kommen. Und die meisten Geschäftsführer, mit denen ich spreche, sind der Meinung, das gehe nicht anders. Aber es ist doch weitaus klüger, den Personalgewinnungsprozess zu optimieren, als immer weiter in Reichweite zu investieren. Es geht darum, genau die Zielgruppe zu kennen, die Botschaften in den richtigen Kanälen darauf abzustellen und dann einen Interviewprozess zu haben, der die richtige Person sicher bis ins Ziel führt. Damit man die Bewerber, die man gerne will, nicht mehr an den Wettbewerber verliert.

Ich höre aus dem Mittelstand Fragen wie die folgenden:

Warum bekommen wir keine relevanten Bewerbungen?

Warum entscheiden Sich nach dem ersten Gespräch die relevanten Bewerber gegen uns?

Warum verlieren wir die Top-Bewerber alle wieder im Prozess und müssen dann mit denen arbeiten, die übrigbleiben?

Warum nehmen Bewerber unser Jobangebot am Ende doch nicht an?

Das sind Fragen, die den Mittelstand bewegen und die es zu beantworten gilt, um den Fachkräftemangel in einem Betrieb dauerhaft zu lösen.

MJ

Über Christian Lepsien:

Christian Lepsien ist Gründer und Geschäftsführer der artevie Group und hilft als Digital Recruiting Experte mit seinem ganzheitlichen Ansatz, den IT-Fachkräftemangel für den Mittelstand nachhaltig zu lösen.

 

Bilder: Oliver Look

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